Der sog. „Gaucho-Tanz“ – ein Fehler?_fundwerke_072014Ich hätte echt drauf wetten können, dass das nicht gut geht.

Ja, wir Deutschen haben einen dicken Geschichtsrucksack zu tragen, der uns an der ein oder anderen Stelle zwingt, uns anderes als andere Länder zu verhalten; gegen das Vergessen.

Aber, dieser unterschwellige, automatisch generierte Apell an den verkrampften Schuldkomplexx stört mich echt. Zeigt er nicht auch gerade, dass wir es selbst nach fast 70 Jahren immer noch nicht geschafft haben, den zweiten Weltkrieg so aufzuarbeiten, dass beides möglich ist:

Demütig zu sein und trotzdem auch feiern zu können.

Mehrere Medien echauffieren sich momentan über den sog. „Gaucho-Tanz“. Das ist der Tanz, den ein paar Spieler der Fußball-Nationalmannschaft gestern bei der Siegesfeier in Berlin zeigten: („So gehen die Gauchos, die Gauchos die gehen so…“)
Ich habe länger überlegt, ob ich dazu etwas schreiben soll oder mich besser wieder ganz schnell abrege. Nachdem ich aber auch heute noch so vieles dazu gelesen habe, kann ich mich einfach nicht zurückhalten.

„Respektlos“ empfinde ich, wie sich mehrere Medien üben den sog. „Gaucho-Tanz“ echauffieren – neidvoll und unfair! Effekthascherei und Stimmungsmache von Leuten, die für sich selbst in Anspruch nehmen, alle Dinge immer reflektiert betrachten zu können.

Es regt mich total auf, was gestern so mancher Mainstreammoralaposteljournalist (manche nennen sie auch Gesinnungs-Euphoriker) zu Papier gebracht oder ins Netz gestellt hat; politisch korrekter als angemessen.
Die Fußballnationalmannschaft hat die WM gewonnen – ‚die Jungs‘ feiern ausgelassen; der sog. „Gaucho-Tanz“ ist halt mal für 60 Sekunden im Freudentaumel nicht ganz so nett. So what?!?

Dazu gefallen hat mir z. B. dieser Kommentar als Antwort auf Berichte in der taz, dem Tagesspiegel, FAZ & Co auf facebook:

»Also in der Siegesfeier die ich gesehen habe wurden ein Sohn polnischer Eltern als bester Mann gefeiert und ein anderer feierte seine Stadt, Köln. Ein Sohn eines ghanaischen Vaters verkündete seinen Stolz darüber Berliner zu sein. Nicht zuletzt die Söhne tunesischer und türkischer Eltern, als Teil unserer, der deutschen Nationalmannschaft, wurden von unserem homosexuellen Bürgermeister in unserer buntesten und wiedervereinten Stadt gefeiert. Das ist nicht weltoffen? Das ist nicht tolerant? Also mich macht es stolz! Lasst sie feiern und in die Bücher eintragen (…)!«

Für mich ist es wirklich bedenklich, dass es heute in Deutschland scheinbar immer noch nicht möglich ist, eine gesunde, emotionale Verbundenheit mit der eigenen Nation zu entwickeln, ohne dass daraus gleich eine Nationalismus Affäre zur geschichtlichen Vergangenheit gemacht wird.

In diesem Zusammenhang lesenwert ist z. B. auch dieser Beitrag von Carsten Drees.

Ja, es gibt Wichtigeres als Fußball auf dieser Welt! Sehr viel Wichtigeres! Besonders mal wieder momentan!

Wenn man es aber noch nicht mal aushält, jemandem, der eine großartige, sportliche(!) Leistung erbracht hat, diesen Moment der Freude zu können, dann ist das echt traurig.

Zeigt ein solcher Moment der Freude doch auch, dass es sich lohnt, zu hoffen und auf ein Ziel hin zu arbeiten, selbst wenn man sich so manches Mal gegen Widerstände durchkämpfen muss. Oder nicht?

Malte Lehming vom Tagesspiegel stellt die Frage:

»Soll man den Kindern beibringen, dass es zum wahren Glück dazu gehört, nicht nur andere zu besiegen, sondern diese hinterher auch auszulachen?«

Ich habe selbst zwei Kinder. Eines, das Mädchen, spielt seit sieben Jahren leidenschaftlich Fußball. Meinen Kindern würde ich daher Folgendes als Antwort auf Lehmings Frage sagen:

»Nein, man soll andere auf keinen Fall fertig machen, mobben oder beständig dissen. Aber manchmal gehört ein wenig Humor und freundschaftliches Necken auf Augenhöhe im menschlichen Miteinander einfach dazu.«
(Fußballer, die es so weit gebracht haben, sind doch alle für sich irgendwie auf Augenhöhe, oder?)

Und – ich selbst hätte wohl auch einen anderen Freudentanz gezappelt. Aber sei’s drum.

Es reicht jetzt wirklich.

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4 Responses to Der sog. „Gaucho-Tanz“ – ein Fehler?

  1. fundwerke sagt:

    Im Übrigen konnte der Postillon eindeutig nachweisen, dass die Gauchos ganz normal gehen und auch die Deutschen sich ebenfalls so gut wie nie in Gruppen hüpfend fortbewegen.

  2. Jana sagt:

    Meiner Meinung nach war dieser sogenannte „Gaucho-Tanz“ schon irgendwo provokant, aber die Argentinier hätten es wahrscheinlich nicht anders mit uns gehandhabt ^^ das Ganze dann aber wieder auf die Nazi-Schiene zu bringen, ist meines Erachtens extrem übertrieben!!

  3. Thomas Müller sagt:

    Ein sehr schöner Artikel, mit vielen wichtigen und wahren Punkten.
    Würde mich sehr über einen neuen Artikel freuen.

  4. Marina sagt:

    Wow, was für eine tiefgehende Analyse!!

    Vielen lieben Dank dafür.

    Ich bin übrigens immer noch der Meinung, dass da keine böse Absicht dahinter war. Auch wenn die Medien das so „hochgeschaukelt“ haben.

    Immerhin haben sich die Argentinier im Anschluss revanchiert – wenn auch „nur“ in einem Freundschaftsspiel. ;)

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