on Appreciation | über Wertschätzung
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wann mir das englische Verb „to appreciate“ zum ersten Mal über den Weg gelaufen ist – 1992 war das, vor mehr als 30 Jahren.
Ich war zu Studienzeiten für ein Interview im Rahmen meiner Magister-Arbeit auf dem Weg zu einer internationalen Tagung nach NRW. 100 Kilometer vor dem Ziel machte der Keilriemen meines alten VW Passat schlapp. Und nein, ich hatte keine Perlonstrumpfhose als Ersatz zur Hand. Damals, es gab noch keine Handys, lief ich die Autobahnböschung runter über’s Feld zu einem Bauernhof in Sichtweite und bat den Bauer darum, von dort die Pannenhilfe anrufen zu können; die Notrufsäule direkt an der Autobahn war fußläufig gefühlt viel weiter entfernt. Ich durfte das Telefon des Bauern benutzen. Von seiner Frau bekam ich obendrauf noch einen frischen Kaffee, und sie packte mir ein Butterbrot ein – für den Fall, dass ich länger auf die Pannenhilfe warten müsste. Die Pannenhilfe kam nach einer Stunde, ich schloss ad hoc einen Vertrag ab, da ich bis dato noch kein ADAC-Mitglied war, der Pannenhelfer mir aber sagte, die Hilfe sei kostengünstiger mit Vertrag, den ich, so sein Hinweis im Nebensatz, ja auch gleich wieder kündigen könnte. Gesagt, getan.
Meinem Auto und mir wurde geholfen – den Interview-Termin mit meiner Gesprächspartnerin verpasste ich allerdings. Ich konnte sie noch nicht einmal informieren, versetzte sie also.
Zur Erklärung schrieb ich ihr einen Brief mit der zusätzlichen Bitte, meine Fragen doch vielleicht schriftlich zu beantworten. Sie wohnte in England. Sie schrieb mir tatsächlich zurück, schickte mir auch ihre Antworten und schloss mit der Formulierung: „I very much appreciate your contacting me, I appreciate your interest and I am happy to send you my answers in the attachment.“
„Appreciation“ ist seitdem mein englischsprachiges Lieblingswort – erstmal nur wegen seines Wortklangs, inzwischen nicht mehr nur deswegen.
Ein Buch ist mir die Tage dazu (wieder) in die Hände gefallen: Das Wunder der Wertschätzung – Wie wir andere stark machen und dabei selbst stärker werden von Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe Reinhard Haller. Sollte wohl so sein. Vielleicht, weil auch ich mich hier und da nach mehr Wertschätzung sehne, umgekehrt allerings auch feststellen muss, dass ich mich manchmal zu sehr mit der Wertschätzung anderen gegenüber zurückhalte oder sie zumindest nicht ausspreche, obwohl ich sie empfinde – was ziemlich dämlich ist.
Denn, ich sag’s mal so, eine Ursache für das Gefühl des Unglücklichseins könnte doch in unserer Schwierigkeit liegen, den Wert dessen zu erkennen, was uns bereits zur Verfügung steht, was uns tagtäglich wie selbstverständlich begleitet. Stattdessen sehnen wir uns, oft vergeblich, nach den eingebildeten Reizen anderer Orte, Menschen und Dinge.
Vielleicht sind wir ja tatsächlich schon viel reicher, als wir denken. Unsere Unzufriedenheit rührt vielleicht nicht vom Fehlen dessen her, wonach wir uns sehnen, sondern von der Unfähigkeit, den Wert dessen zu erkennen und zu schätzen, was wir bereits besitzen.
Was steht jetzt also drin im Buch von Reinhard Haller? Haller beschreibt, wieso Wertschätzung so wichtig ist, aber auch, wie man diese Wertschätzung sich und anderen zeigen kann, ohne dabei kritiklos zu sein – was ich spannend finde. Und das führt unweigerlich dazu, dass man über sich selbst, und sein eigenes wertschätzendes Verhalten nachzudenken beginnt; erkennt, warum die Wertschätzung so unentbehrlich für eine gesunde Gesellschaft ist, für einen selbst ist.
Man begreift, was ein Mangel an Wertschätzung anrichten kann, für sich selbst, aber auch für andere – was passiert, wenn die Wertschätzung selbst nicht mehr wertgeschätzt wird. Spannend berichtet der Psychiater und Neurologe in Das Wunder der Wertschätzung unter anderem auch aus seiner Praxis.
Das Buch handelt aber auch davon, wie man wertschätzender leben kann, und damit sich und andere stärkt.
»Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.«
~ Wilhelm von Humboldt
Glücklicherweise ist Wertschätzung keine Gabe, sondern eine Fähigkeit. Na dann …
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2 Responses to on Appreciation | über Wertschätzung
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WORTGEWÖLK
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na dann …
Liebe Silke, vielen Dank für diesen Gedankenanstupser. Ich mag deine Blogbeträge sehr. Sie regen zum nachdenken an.
Vielen dank dafür.
Liebe Margarte, wie schön, von Dir hier zu lesen! Lieben Dank für Deinen Zuspruch. :)