Erst gestern wieder hat mich unsere neue Waschmaschine dazu gezwungen, etwas zu waschen, was ich eigentlich noch gar nicht waschen wollte. Die Maschine versuchte schon seit mehreren Tagen, mir unterschwellig ein schlechtes Gewissen einzureden – die Störhilfe meldete mit Unterstützung des Displays „Hygiene Info“.

Bevormundung

Die neue Maschine verhält sich wie ein Gutmensch. Sie mischt sich zu meinem Schutz in mein Leben ein, lässt mir keine Entscheidungsfreiheit, welches Risiko ich selbst bereit bin, einzugehen oder auch nicht. So also auch gestern. Sie gab nicht auf, mich darauf hinzuweisen, dass ich doch reinlicher werden solle. Zur Anzeige im Display kam ein Piepsen aus dem Waschraum, was ich nun wirklich nicht mehr ignorieren konnte.

Irgendwas scheine ich in den letzten Jahren wohl falsch verstanden zu haben. Statt Wäsche zu kochen, wie es früher z.T. noch bei meiner Oma üblich war, wasche ich manche Dinge wie Jeans, T-Shirts oder auch Hemden heute im Schongang; bei 40 Grad. Das ist gut für die Umwelt, habe ich gelernt, spart Energie und Ressourcen. Natürlich gibt es auch den ein oder anderen Waschgang, bei dem höhere Temperaturen zum Einsatz kommen: Bettwäsche, Handtücher, verschwitzte Sportklamotten u.ä..

Meiner Waschmaschine allerdings scheint die Rythmisierung meines Waschverhaltens nicht zu gefallen. Bevor sie also bei mir einen selbstverursachten Tinitus im Ohr produziert, weil sich das Gepiepse leider nicht abstellen lässt – dazu finde ich nämlich nicht wirklich etwas in der Gebrauchsanleitung – wasche ich eben doch mal schnell den Baumwollvorhang, der ohnehin demnächst dran gekommen wäre, mit der gewünschten Höchst-Temperatur.

Überall lauern Keime

Bei weiterem Nachforschen lese ich an verschiedenen Stellen, dass das Waschen mit niedrigen Temperaturen auf Dauer eben einen Haken habe: Keime werden nicht abgetötet. Das könne bei manchen Erkrankungen problematisch sein.

Aber – in unserer Familie ist doch zum Glück nicht ständig jemand krank. Ich dachte eigentlich, ich sei nah genug an meinen Familienmitglieder dran, um selbst zu entscheiden, wann es wirklich nötig ist, gegen gewissen Keime anzugehen. Scheinbar weiß das meine Waschmaschine aber besser… Und überhaupt, all die Keime von denen ich nichts weiß, die heimtückisch hinter jeder Ecke und damit in jeder nicht heiß genug gewaschenen Waschmaschinenladung auf jeden von uns lauern.

Hysterie

Die, auch von TV-Spots, die sogenannte antibakterielle Reinigungsmittel bewerben, unterstützte Hygiene-Hysterie regt mich auf.
Die gewissenhafte Hausfrau sprüht ‚keimvernichtend‘ und ‚desinfizierend‘ im Haus herum und signalisiert klinische Hygiene. Die Familie dankt es mit einem strahlenden Lächeln, und Kinder trauen sich nicht mehr, beherzt im Sandkasten zu buddeln oder im nahegelegenen Bach zu spielen.

Dabei gaukeln antibakterielle Reinigungsmittel einem doch eine falsche Sicherheit vor. Sie sind nicht nur sinnlos, sondern auch umweltbelastend. Ihre Inhaltsstoffe sind stärker konzentriert als in herkömmlichen Reinigern. Was der Umwelt schadet, tut oft auch dem Menschen nicht gut. Vermeintlich klinische Sauberkeit im Haushalt ist auch deswegen überflüssig, weil die allermeisten Bakterien harmlos sind; wir Menschen sind sogar auf sie angewiesen.

Mittlerweile gibt es sogar antibakterielle Kleidung – Socken, Hemden, Unterwäsche werden dafür mit chemischen Zusätzen versehen. Und diese dubiosen Stoffe führen bei manchen Leuten dann zu allergischen Reaktionen der Haut. Warum nur?

Warum kann es nicht einfach ausreichen, sich ordentlich zu waschen und die Klamotten ganz normal zu waschen? Dass zuviel Schmutz krank macht, ist klar. Aber allzu penible Sauberkeit ist auch nicht gesund. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Aber, ich schweife ab…

Wie wär’s mit Pragmatismus?

Um auf unsere Waschmaschine zurückzukommen. Ich würde das ganze Thema gerne pragmatischer angehen: Wenn alle Familienmitglieder gesund sind, reicht eine Wäsche bei 40 Grad aus. Ist jemand krank, hat sich zum Beispiel eine Grippe oder einen Magen-Darm-Infekt eingefangen, wasche ich die Kleidungsstücke, bei denen ich keine Angst haben muss, dass sie nach dem Waschgang nur noch einer 30 Zentimeter großen Puppe passen, gesondert bei 60 Grad. Außerdem mache ich nach wie die Reinigungsschublade sauber und lasse die Maschine regelmäßig bei hoher Temperatur mit einem bleichmittelhaltigen Waschmittel leer laufen lassen, um Keime im Restwasser zu beseitigen.

Und wenn dann trotzdem jemand in der Familie mit einem normalen Infekt krank wird, nehme ich das gerne auf meine Kappe oder erkläre, dass es nach wie vor nicht wirklich gesundheitsförderlich sei, mit bereits verstopfter Nase, nur weil die Sonne scheint, bei einer Außentemperatur von sechs Grad auf einen warmen Pulli zu verzichten.

Aktuelles Gefahrenbewußtsein

Die Mitteilungen meiner Waschmaschine unterstützen doch irgendwie ein fragwürdiges Gefahrenbewusstsein. Ständig und überall wird uns suggeriert, nicht perfekt zu sein. Aber wer ist das schon? Wir fühlen uns verunsichert, unser Selbstbewusstsein wird stetig angekratzt, jeder zusätzliche Fehler soll vermieden werden. Da liegt es nahe, des Schutzes und der Bevormundung einer Waschmaschine zu bedürfen.

Ich schau‘ jetzt einfach nochmals in die Gebrauchsanweisung. Vielleicht kann ich meine Waschmaschine doch dazu überreden, nicht ganz so streng mit mir zu sein. Schließlich lagen wir vor ihren gut gemeinten Ratschlägen auch nicht ständig krank im Bett.
Ich denke, ich kann doch selbst ganz gut entscheiden, wann und wie ich was wasche. Zumal sich die Maschine dann auch wieder ein wenig entspannt zurücklehnen kann und nicht für mein vermeintlich mangelndes Gefahrenbewußtsein die Haftung übernehmen muss.

Gegengewicht

In der Zwischenzeit sehe ich es zum Ausgleich ein weniger lockerer mit dem Bodenputz: Bei uns kann man vom Boden essen. Man findet immer etwas.
Wenn die Leute um mich herum dann irgendwann anfangen, die Nasen zu rümpfen oder niemand mehr zu uns zu Besuch kommt, werde ich mir erneut Gedanken machen.

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4 Responses to Bevormundung durch die Waschmaschine

  1. Felix sagt:

    Auf der einen Seite ist es natürlich sehr nützlich, wenn man durch seine Maschinen auf eventuell vorhandene Fehler aufgeklärt wird. Auf der anderen Seite missfällt mir allerdings der Ton. Früher wurden die Mitteilungen der Maschinen als „Tipps“ formuliert, heutzutage als „Aufforderungen“…

    • fundwerke sagt:

      …naja, schlimmer noch, einer Aufforderung kann ich nachkommen oder nicht; meine Waschmaschine dagegen nimmt mir mit ihrem Gepiepse die Freiheit, zu entscheiden.

  2. Sehr, sehr lustig, vielen Dank für die vielen Lacher. Aber ja, es stimmt. Überall wo man hinguckt wird Keimfreiheit propagandiert.
    Jeder weiß es besser, nur man selber anscheinend nicht.
    Mit strahlenden Grüßen
    Elena Sommer

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