Was macht einen Menschen aus?
»Glaubst du an das menschliche Herz? Ich meine natürlich nicht einfach das Organ. Sondern im poetischen Sinn. Das Herz des Menschen. Glaubst du, dass es so etwas gibt? Etwas, das jedes Individuum besonders und einmalig macht?«
Als Buch zu Hause liegen gehabt (mit den ersten Seiten nicht richtig reingekommen), aber im Urlaub dann als Hörbuch aufgesogen – Klara und die Sonne von Kazuo Ishiguro. Eine beeindruckende und berührende, aber auch beängstigende Geschichte, die bei mir noch immer nachwirkt. Am Abend, nachdem ich es zu Ende gehört hatte, konnte ich kaum einschlafen, so Vieles ging mir durch den Kopf.
Ich beobachte sehr gerne. Sauge Gegebenheiten, Szenen, Landschaften, Gerüche, Blicke in mich auf. Schaue auf Kleinigkeiten, kleine Details, weil ich gegen zu schnell gefasste Meinungen allergisch bin. An Kleinigkeiten erkenne ich vielleicht nicht etwas allgemein Typisches, aber erhoffe mir, etwas Persönliches zu entdecken – etwas, das diesen einen Menschen ausmacht. Und … ich liebe die Sonne.
Klara auch. Sie stiert nicht. Sie glotzt nicht (ich manchmal leider schon). Klara beherrscht die Technik des wohlwollenden Blicks. Man schließt Klara sofort ins Herz. Sie ist offen, ehrlich, und möchte für alle immer nur das Beste. Als künstliche Freundin (KF) ist sie darauf ausgelegt und voller Besorgnis berichtet und beschreibt sie, was sie sieht, was sie sich erhofft, ob sie auch die Erwartungen erfüllt, die an sie herangetragen werden. Und … Klaras Existenz ist von der Sonne abhängig.
Was ist Wirklichkeit?
Das, was passiert, oder das, was wir dafür halten? Klara und die Sonne behandelt unter anderem genau das – Klara als Künstliche Intelligenz (KI) erzählt aus der Ich-Perspektive; mit allen Ungenauigkeiten, Ungereimheiten und Irrtümern, die sich daraus ergeben.
Dass nicht alles so stimmen kann, wird einem dabei erst nach und nach klar. Das mag auch daran liegen, dass wir instinktiv einer KI besondere Dinge zutrauen, dass sie vielleicht doch „schlauer“ als wir Menschen ist – untermauert wird dies dadurch, dass sie von einer besonderen Beobachtungsgabe gesegnet ist. Aber, es kommt zu Fehleinschätzungen, die Klara nicht bemerkt, und die einem selbst immer wieder den sicher geglaubten Boden unter den Füßen ins Wanken bringen.
Was geht hier eigentlich vor?
Zu einer nicht näher bestimmbaren Zeit in der Zukunft werden mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Roboter Jugendlichen als Freunde und Wegbegleiter an die Seite gestellt. Klara ist ein solcher Roboter. Sie wird die KF der kranken Josie. Klara entwickelt sich beständig fort und setzt alles daran, Josie vor dem Tod zu bewahren.
Dabei stellt sich die Frage, ob Roboter tatsächlich zu menschlichen Gefühlen in der Lage sind, insbesondere lieben und geliebt werden können. Und weil man Klara so sympathisch findet, möchte man das nur allzu gerne bei Klara bejahen, denn sie wird warmherzig und empathisch dargestellt, ganz im Gegensatz zu manchen Menschen in der Geschichte. Fast, so scheint es, zeigt Klara menschlichere Züge als die Menschen, deren Handeln fortwährend um ein ewiges, ständig optimiertes, perfektes Leben kreist.
Das Ende fühlt sich irgendwie abrupt an, ist aber auch unglaublich berührend:
»Ich habe meine Erinnerungen, die ich sortieren und in die richtige Reihenfolge bringen will.«
Tiefgründig, warmherzig, sehr intensiv, voller Fragen, voller Wahrheiten, voller erschütternder Spekulationen – und dennoch in einer wunderbar unaufgeregten Stimmung feinsinnig erzählt.
Klara und die Sonne – für mich ein Geschenk, ein großartiges Buch.
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