Gute oder böse Flüchtlinge?
Bei dem ein oder anderen Kommentar, den ich in den letzten Tagen zur aktuellen Flüchlingstragödie vor Lampedusa gelesen habe, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Angesichts der vielen Toten gibt es doch tatsächlich Leute, die von „Reibungsverlusten“ schreiben, welche man bei dem Wohlstandgefälle auf dieser Erde eben in Kauf nehmen müsse.
Dabei frage ich mich, aus welcher Position heraus ist es möglich, flax von „Reibungsverlusten“ zu sprechen, wenn man über den Tod von Menschen schreibt, zur Flüchlingsproblematik Stellung nimmt?
Wie selbstgefällig und snobistisch muss man sein, um nicht zumindest ein wenig Demut, Solidarität und Empathie an den Tag legen zu können? Ist es nicht einfach unser Glück, in einem Land geboren worden zu sein oder heute leben zu können, in dem seit mehr als sechzig Jahren Frieden herrscht, in dem Kinder Schulen besuchen dürfen, in dem wir einfach den Hahn aufdrehen, wenn wir frisches Wasser wollen, in dem es eine funktionierende Infrastruktur gibt?
Als ob Menschen so mir nichts dir nichts mal eben in überfüllte Boote steigen oder ihre Kinder dort hineinsetzen und sehend in die Katastrophe schippern, nur, um vielleicht auch mal bei einem Elektromarkt einen schicken Flachbildschirm kaufen zu können…
Da spricht mir der Kommentar von Ivo Marusczyk doch aus dem Herzen. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mit dem Posten seiner Worte erneut den ein oder anderen Leser hier verlieren werde, weil er anderer Meinung ist, es aber nicht kommentieren wird, sondern einfach still und heimlich das Weite sucht. So hatte ich es ja bei meinem Beitrag zur Intelligenten Antwort auf den Brief eines Idioten leider erlebt. Sympathischer wäre mir ein Austausch über die Kommentare, auch wenn man zu einem Thema anderer Meinung ist. Ich bin gespannt…
Kommentar zur EU-Flüchtlingspolitik
Höhere Mauern werden der EU nicht helfen
Von Ivo Marusczyk, BR, ARD-Hauptstadtstudio
»“Da fällt mir nur das Wort Schande ein.“ So hat Papst Franziskus die neue Flüchtlingstragödie von Lampedusa kommentiert. Die x-te Tragödie, die allerdings nur deswegen ein paar Tage für größere Schlagzeilen gesorgt hat, weil besonders viele Menschen auf einmal im Mittelmeer ertrunken sind. Und das Wort Schande ist auch anderen als erstes in den Sinn gekommen. Dem Ratspräsidenten der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Präsidenten des EU-Parlaments, dem SPD-Chef. Völlig zu Recht.
Es werden Rufe nach einer neuen europäischen Flüchtlingspolitik laut, nach mehr Solidarität zwischen den Ländern Europas und einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge.
Der Innenminister will die Festung Europa besser sichern
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat eine ganz andere Antwort parat. Er will vehementer gegen Schlepper und Schleuser vorgehen, die die Flüchtlinge erst wie Sklaven ausbeuten und sie dann allzu oft auf eine Reise in den Tod schicken. Mit anderen Worten: Friedrich hat eine Bresche in der Mauer der Festung Europa erkannt und will diese schließen.
Die Frage ist nur: Was soll das bringen? Wir haben die Mauern immer höher gezogen, wir haben es den Flüchtlingen schon immer schwerer gemacht, lebend europäischen Boden zu erreichen. Der Flüchtlingsstrom versiegt aber nicht – im Gegenteil.
Je mehr Frontex-Schiffe auf dem Mittelmeer kreuzen, desto mehr Geld können die Schleuser von ihren Opfern erpressen. Und die Boote, auf die die Afrikaner gepfercht werden, werden immer kleiner und damit noch untauglicher und gefährlicher – weil ein kleines Boot bessere Chancen hat, unter dem Radarschirm durchzuschlüpfen.
Die Antworten der Bundesregierung sind weltfremd
Tatsächlich verschließt Europa die Augen vor dem Problem. Ein paar Jahre lang hat es funktioniert, die Außengrenzen stärker abzuschotten und Flüchtlinge dorthin abzuschieben, wo sie erstmals EU-Territorium betreten haben. Aber der Damm bricht. Und ihn noch höher zu machen, löst das Problem nicht, sondern beschwört nur weitere Tragödien herauf.
Zum ersten Mal seit 16 Jahren werden wieder mehr als 100.000 Menschen in diesem Jahr Asyl beantragen. Die Antworten der Bundesregierung bleiben blass und etwas weltfremd: Sie hat keine wirkliche Handhabe, um in Staaten wie Eritrea oder Somalia gegen Schlepper vorzugehen oder – was auch schon versprochen wurde – die Lebensbedingungen der Menschen dort zu verbessern.
Kaum legale Möglichkeiten zur Einwanderung
Nicht überall geht man so offenkundig menschenverachtend mit den Bootsflüchtlingen um, wie in Italien, wo Fischer schon ihre Lizenzen und damit ihre Existenz verloren haben, weil sie Ertrinkende in ihr Boot gezogen haben. Aber viel freundlicher und offener sind wir auch in Deutschland nicht.
Gerade einmal 8764 Menschen hat die Bundesrepublik im vergangenen Jahr Asyl gewährt. Und noch einmal 8000 dürfen bleiben, weil es in ihren Heimatländern so elend zugeht, dass wir sie nicht abschieben können. Legale Möglichkeiten zur Einwanderung existieren nur für wenige Menschen – so bleibt nur der Weg durchs Mittelmeer.
Die Politik sollte anfangen, sich um Flüchtlinge zu kümmern
Stolz verweist Deutschland darauf, 5000 Menschen aus dem kriegsgeschundenen Syrien aufzunehmen – welch lächerliche Zahl angesichts von Hunderttausenden auf der Flucht. Stolz lobt Bayerns Sozialministerin Haderthauer eine Initiative für Deutschkurse für Asylbewerber, aber warum denn bitte erst jetzt?
Die Politik muss dringend umdenken und das heißt bitte nicht, im Reflex mit dem Finger auf Brüssel zu zeigen. Die Unterscheidung zwischen „guten“ politischen und bösen Wirtschaftsflüchtlingen funktioniert nicht mehr. Mit bürokratischen Hürden und Sammelunterkünften verschärft die Politik die Probleme mit Asylbewerbern im eigenen Land – löst das Problem aber auch nicht.
Deutschland wird mehr Menschen aufnehmen müssen. Vielleicht sollte man anfangen, sich darum zu kümmern, dass das besser klappt, statt durch Abschottung immer neue Tragödien im Mittelmeer heraufzubeschwören.«
[Fundort: Tagesschau.de und im Radio auf Bayern 2]
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Einach nur schrecklich. Erschreckend in was für einer Welt wir heute leben.
Auch lesenswert in diesem Zusammenhang der Kommentar Lampedusa: Europa braucht Masseneinwanderung von Sabine Beppler-Spahl
„Hier kommen keine Opfer, die die Hände aufhalten, um von unseren Sozialleistungen zu profitieren, sondern Menschen, die bereit sind, hart zu arbeiten. Sie verlangen nicht mehr als eine faire Chance auf unserem viel zu stark regulierten Arbeitsmarkt. Wer Einwanderer um jeden Preis fernhalten möchte, muss erklären, wie unsere alternde Gesellschaft die Herausforderungen der Zukunft ohne sie meistern kann – sei es in der Altenpflege, im Straßenbau oder der Landwirtschaft und in vielen anderen Wirtschaftszweigen.“
Mit unserer Agrarpolitik treiben wir auch noch die letzten Bauern in Afrika in den Ruin, importieren das wenige an Nahrung, das sie produzieren als Schweinefutter, zwingen deren Kinder für ein paar Almosen unseren Elektroschrott zu recyclen usw…
Wenn die Gesellschaften dann endgültig auseinanderbrechen und der Bürgerkrieg Einzug hält, dann sind wir als großer Rüstungsexporteur zur Stelle.
Aber es geht den Afrikanern schon viel besser, weil man jetzt Schokokuss sagt und die zehn kleinen Negerlein auf dem „Index“ stehen.
Der Kommentar, man benötige doch Arbeitskräfte „in der Altenpflege, im Straßenbau oder der Landwirtschaft und in vielen anderen Wirtschaftszweigen“, ist in meinen Augen übrigens nicht nur rassistisch. Taugt denn der gemeine Neger (der mußte jetzt raus) nur für derartige Aufgaben?
Er ist auch eine Irreführung, denn in Wirklichkeit geht es nicht um fehlende, sondern ausschließlich um billige Arbeitskräfte. Jeglicher Bevölkerungsrückgang wird durch Steigerungen in der Produktivität mehr als ausgeglichen. Aber um Löhne weiter zu drücken muß man einfach diese Mär immer weiter verbreiten. Nur wenn viele Leute bereit sind, für 3,50 oder weniger die Stunde zu arbeiten, nur dann läßt sich der Druck aufrecht erhalten. Dafür braucht man die, nicht aus Menschlichkeit.
Naja, was rege ich mich auf. Eigentlich wollte ich doch nur einen Backlink abstauben. :/
Liebe Autorin des Artikels,
bitte lasse Dir nicht ausreden, solche Artikel zu schreiben und zu veröffentlichen. Ich habe zu dem Artikel oben auch den Beitrag mit dem Brief an den „Idioten“ gelesen und werde Deinen Blog in Zukunft öfter aufsuchen. Interessant finde ich auch die Kommentare dazu. Der von Nick klingt zwar ein wenig derb auf den ersten Blick, aber wenn man genau liest, versteht man, was gemeint ist. Traurig, diese Zustände.
Weiter so an die Autorin!
Isabelle
„Reibungsverluste“ – mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Wie wäre es denn mit „Leckage“, ich habe in Erinnerung, dass das der betriebswirtschaftliche Ausdruck für den Verlust beim Umfüllen/Transport flüssiger Ware ist.
Die Politiker lassen hier die Menschen in höchster Not als „Ware“ dastehen, wir haben 5000 (Stück/Einheiten oder gar Menschen!) aufgenommen und weitere werden geduldet. Fischer werden Lizenzen entzogen wenn sie Leben retten, wahrscheinlich wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Es ist schon richtig dass vor Ort geholfen werden muß, aber das wird nich eingesehen, hier wird nur versucht den erstandenen Wohlstand(auf wessen Kosten auch immer) zu verteidigen und nicht zu teilen. Den Habitus der Politiker und Snobisten finde ich zum Kot…!!!