Keine Schluss-Strich-Mentalität!_fundwerke_012015_Auschwitz_Zyklon B

»Ja, was die Deutschen im zweiten Weltkrieg gemacht haben, war schrecklich,
aber …«,

so eine 88jährige Frau vergangene Woche im Gespräch zu mir.

NEIN, kein ABER!

Am 27. Januar vor 70 Jahren wurde Auschwitz befreit – das Sinnbild der Vernichtung der Juden und der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten über die europäischen Völker.

Dass laut einer aktuellen Studie der Bertelsmannstiftung mindestens die Hälfte der Deutschen einen Schluss-Strich unter die deutsche Vergangenheit ziehen will, erschreckt mich und macht mich traurig. Sie meinen, sie hätten genug gesehen und gehört. Sie wollten sich lieber aktuellen Problemen zuwenden.

Mir aber geht es vielmehr so: Schon oft gesehen, einerseits; aber irgendwie nie wirklich sehen können, andererseits:
Das Geschehene überfordert meinen Verstand und meine Gefühle, weil es zu weit geht, viel zu weit! Es ist für mich nach wie vor unbegreiflich, was Menschen einander antun können.

81 Prozent der Deutschen möchten die Geschichte der Judenverfolgung gerne ‚hinter sich lassen‘.
Ich schätze, dass ist großer Bockmist!
Der Umgang mit den Holocaust-Opfern war doch lange genug beschämend, in West- wie auch in Ostdeutschland.

Keine Schluss-sStrich-Mentalität!_fundwerke_012015_AuschwitzDas unbeschreibliche Leid, das Menschen in den deutschen Konzentrationslagern erlebten, über Millionen Menschen nicht überlebten, kann man doch nicht einfach so ausklammern.
Das Vermächtnis der Überlebenden muss doch über seine Generation hinaus erhalten bleiben!

„Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“,
so meinte einst bereits Rabbi Baal Shem Tov (gestorben: 1760)

Wir heute lebenden Deutschen genießen tatsächlich nur scheinbar die Gnade der späten Geburt. Es ist nun mal so – die Geschichte unserer Vorfahren haftet an uns. Auch die Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust. Auch mir steckt sie heute in den Knochen.
Klar, wir nach dem Krieg Geborenen sind nicht für diese Vergangenheit verantwortlich. Allerdings doch für den Umgang damit!

Es geht nicht darum, immer nur wieder mantramäßig zu zeigen, wie betroffen wir von der Geschichte sind.

Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dieser Geschichte sollte in einem selbst eher die Frage aufwerfen:

Welche Konsequenzen ziehe ich aus diesem Wissen für mein Leben?

Mal ganz unabhängig davon, dass das Lösen heutiger Probleme in vielen Fällen auch immer die Kenntnis von der Vergangenheit voraussetzt.

»Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz. Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben. Er gehört zur Geschichte dieses Landes«,
sagte vorgestern Joachim Gauck.

Da kommen wir halt nicht drum herum!

»Gedankenlosigkeit tötet. Andere.«
Stanislaw Jerzy Lec (* 06.03.1909, † 07.05.1966, polnischer Schriftsteller)

»Das haben wir nicht gewußt.« Diese Antwort bekamen viele Ausländer nach dem Krieg in Deutschland zu hören. Eine typische Antwort im Wirtschaftswunderland Deutschland – vergessen und verdrängen war damals das Gebot der Stunde; und scheint es bei manchen Menschen leider nach wie vor zu sein.

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2 Responses to Keine Schluss-Strich-Mentalität!

  1. fundwerke sagt:

    Nachtrag:
    Die Inhalte der gesamten Studie, um die es oben geht, können hier eingesehen werde:
    https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Studie_LW_Deutschland_und_Israel_heute_2015.pdf

    Leider fällt bei genauerer Betrachtung auf, dass wie bei so vielen Studien, auch zu anderen Themen es immer eine Auslegungssache ist, wie und in welche Richtung die Ergebnisse bewertet und veröffentlicht werden – in diesem Fall medienwirksam rund um den Gedenktag.

    Die Feststellung, die von den Befragten bewertet werden sollte, war:
    „Wir sollten uns lieber gegenwärtigen Problemen widmen als den Verbrechen an den Juden, die mehr als 60 Jahre zurückliegen.“

    Die Antwort war, dass dies 37 % mit voller Zustimmung so sehen, 21 % mit dem Skalenwert 2 und 23 % mit dem Wert 3, also mit ’stimme zum Teil zu‘ bewerten.
    Daraus wurde dann die Schlußfolgerung „Insgesamt 81 Prozent der deutschen Befragten möchten in dieser Hinsicht die Geschichte des Holocausts hin-
    ter sich lassen.“

    Da frage ich mich natürlich dann auch, ob dafür nun schlampiger Journalismus und Gedankenlosigkeit die Ursache sind, oder ob ggf. eine Absicht dahinter steckt, gezielt die Stimmung zu manipulieren.

    Das ändert natürlich nichts an meiner Abneigung zur Schluss-Strich-Mentalität.
    Diese Grauen, von Deutschen im zweiten Weltkrieg begannen, können nicht vergessen werden, dürfen nie vergessen werden.
    Der Holocaust gehört zu Deutschland!
    Das ist unsere Verpflichtung hier in Deutschland – wir müssen dieses Erbe tragen und uns dafür einsetzen, dass alle Arten von ‚Nachahmungstendenzen‘ politisch und gesellschaftlich unterbunden werden.
    Das ist unsere geschichtliche Herausforderung und wird es immer bleiben.

  2. Johannes sagt:

    Mal abgesehen von der wirklich sonderbar interpretierten Statistik: Man muss die Geschichte ja nicht gleich „hinter sich lassen“ um sich aktuellen Problemem zuwenden zu können. Irgendwie geht es hier ja um die Frage der allgemeinen Schuld der Deutschen, und die wird leider wirklich oft politisch instrumentalisiert – etwa um die Außenpolitik zu rechtfertigen, wie wir es z.B. im Jugoslawien Krieg erlebt haben. Und das muss ja nun wirklich nicht sein, denn das ist ja auch irgendwie ein Missbrauch der Deutschen Geschichte!

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