»Als es Nacht wird in Idomeni, ist es dort, wo mein Zelt unter tausenden steht, stockfinster. (…) Spät, ganz spät wird es still. Der Schlaf senkt sich über das Elendsquartier. Aber wer kann hier schon schlafen? Ich nicht. Es ist kalt in meinem Zelt, der Boden nass und die Zeltwände feucht. Je weiter die Nacht fortschreitet, umso lauter klingt ein Konzert aus Husten, Räuspern und Kinderweinen, manche wimmern nur. Es ist eine Sinfonie des Grauens. Schräg hinter mir, drei Zelte weiter, liegen eine Mutter und deren fünf Tage altes Kind. Zwei Tage hatten Mama und Kind im überfüllten Krankenhaus ein Dach über dem Kopf und ein warmes Bett gefunden. Jetzt liegen sie wieder auf Schlamm im nassen Zelt. (…) Wann hört der Regen endlich auf, gegen mein Zeltdach zu trommeln? (…) Wir verwöhnten Wohlstandsbürger fühlen uns von Flüchtlingen bedroht, die gar nicht gegen uns kämpfen, sondern um ihr Überleben. Tausend Kilometer nördlich liegen meine Landsleute jetzt im warmen Bett, und keiner von ihnen hat bis jetzt für die Flüchtlinge auch nur ein Jota unseres Besitzstandes abgeben zu müssen. Um mich herum liegen die Unbehausten im Dreck auf dem nackten Boden. Ich nur eine Nacht. Sie seit Tagen und Wochen. Wie lange noch? Lasst die „Mühseligen und Beladenen“ zu uns kommen, bevor Seuchen die Toten abholen.«

Entnommen aus: Norbert Blüm „Verändert die Welt, aber zerstört sie nicht. Einsichten eines linken Konservativen“, Herder Verlag, Freiburg 2017

[Fundort: Im Auto auf dem Weg zu einem Termin bei
 Bayern2 - Gedanken zum Tag gehört.]

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One Response to Fundworte #231

  1. Wow, er sagts mal wieder!
    Wir müssen nichts abgeben und haben nichts weniger. Wir werden durch diese Menschen beschenkt, durch ihr andersein bringen sie neue Perspektiven – für uns alle.

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