H wie unter die Haut_fundwerke_032016

»Die Welt ist voller Zeichen und Wunder, die kommen und gehen. Wenn wir Glück haben, sind wir vielleicht genau dann am Leben und sehen sie.«

Für mich mit die schönsten Fundworte im Buch „H wie Habicht“ von Helen MacDonald. Aber eben erst auf Seite 382 – und bis dahin muss man erstmal kommen.

Ich hatte mir das Buch, welches ja überall gehypt wurde, von einer Freundin ausgeliehen, die damit irgendwie nicht weiter kam. Außerdem meinte mein Mann, von dem ich es mir in Englisch ausleihen wollte, ich solle mal lieber auf die deutschsprachige Variante zurückgreifen. Im Englischen seien u.a. die Fachbegriffe doch wahrscheinlich zu speziell für meinen passiven Wortschatz. Ein bisschen fies von ihm, dachte ich, fragte ihn nach ein paar Seiten deutschen Lesens die ein oder andere Vokabel ab und stellte mit Befriedigung fest, dass er auch nicht wusste, was „kröpfen“, „beizen“ oder „schmelzen“ auf Englisch heißt. Außerdem ist auch er mitten im Buch hängen geblieben.

In dem Buch erfährt man alles, was man noch nie über Habichte wissen wollte. Aber, ich fand das Thema faszinierend, die Leidenschaft der Autorin hatte mich angesteckt.

„H wie Habicht“ ist ein anstrengendes Buch.
Und es geht unter die Haut.

Nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters legte sich Helen MacDonald ein Habichtweibchen namens Mabel zu. Der Versuch, Mabel abzurichten, wird zu einer existentiellen Erfahrung. Helen MacDonald beschreibt sie mit allen Hochs und Tiefs.

Manchmal hatte ich fast das Gefühl, die Habichtkrallen auf meinem Arm zu spüren; die Anspannung, wenn den Habicht das Jagdfieber packte.

Das Buch brachte mir die Falknerei näher, die man ja sonst, wenn überhaupt, aus irgendwelchen Wildparks von Flugshows kennt. Eine Welt die den meisten Menschen fremd ist, aber trotzdem fasziniert, zumindest mich. Eine Form der Jagd und deshalb unweigerlich mit dem Tod und dem Töten verbunden.

Und gerade dieser Umstand scheint der Autorin dabei zu helfen, den Tod ihres Vaters zu verarbeiten. Aber die Abrichtung der Habichtfrau „Mabel“ ist auch eine Flucht vor der Menschenwelt, hinein in die Wildnis, weg vom Menschsein, um den Schmerz der Trauer weniger spüren zu müssen. Vielleicht sogar, ihn über die Jagd mit dem Habicht auszuleben und ihn anderen Lebenwesen stellvertretend und sich selbst körperlich zuzufügen.

Richtig spannend fand ich die Passagen, die sich um Mabel drehen – wie sie nach und nach daran gewöhnt wird, auf der Faust zu sitzen, wie sie an der Leine immer weitere Strecken fliegt, und jedes Mal wieder zurückkehrt, und wie sie schließlich frei in der Landschaft Kaninchen und Fasanen hinterher jagt – teils spannender als jeder nordische Krimi, die ich doch so sehr mag.

Parallel zu ihrer eigenen Geschichte, erzählt die Autorin auch das Schicksal von  T.H.White, dem Autor des in Falknerkreisen bekannten Buches „The Goshawk“, was gerade am Anfang manchmal etwas verwirrend und langatmig erscheint, sich am Ende aber erklärt.

»Obwohl das Jahr wunderschön war – und in vieler Hinsicht auch sehr düster -,  hatte ich einen schrecklichen Fehler gemacht. Ich dachte nämlich, dass ich genauso sein wollte wie mein Habicht: ganz allein, unabhängig, auf niemanden angewiesen und erfüllt von einer unbeschreiblichen Wut. All das fühlte ich natürlich wegen des Todes meines Vaters. Ich habe den Habicht als Spiegel meiner selbst benutzt und mich irgendwann mehr als Habicht gefühlt denn als mich selbst. Am Ende habe ich gelernt: Die Geschichte der Natur ist eigentlich immer unsere eigene Geschichte. Der Habicht hat mich verändert und mich in gewisser Weise mit dem Tod versöhnt«,

so Helen MacDonald.

Das Buch beschreibt eine Reise: Erinnern oder vergessen oder besser beides? Verlust und Trauer. Abschied. Depression. Vereinsamung. Verzweiflung. Hoffnungslosigkeit. Angst vor dem endgültigen Verlassenwerden. Aber auch die Ahnung, ein Gefühl, langsam eine Richtung gefunden zu haben. Hoffnung. Freude. Liebe.

Eine Geschichte, wie man sich als Mensch verlieren, aber auch wieder finden kann.

Ein Teil einer Lebensgeschichte – wie die Natur – schön, aber auch manchmal grausam.

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